Massoulié
72

MSGR. REY: DIE KATHOLIKEN MIT IHREM JAHRHUNDERTEALTEN ERBE VERSÖHNEN

"Erinnerung und Versprechen"

PREDIGT VON MSGR. DOMINIQUE REY,
Bischof von Fréjus-Toulon,

IN SANKT PETER IN ROM
am 26. Oktober 2019
anlässlich der Wallfahrt
Summorum Pontificum


"DIE KATHOLIKEN MIT IHREM JAHRHUNDERTEALTEN ERBE VERSÖHNEN"

Laudetur Jesus Christus !

Die aktuellen Ereignisse sagen uns immer wieder, dass sich unsere Welt in einer Krise befindet. Und diese Krise ist multifaktoriell. Sie ist tiefgehend und lang anhaltend. Sie erreicht sogar die Kirche.
Der tragische Brand, der vor einigen Monaten das Dach der Pariser Kathedrale, des meistbesuchten Denkmals Europas, zerstört und verzehrt hat, ist ein Vorzeichen für unsere Zeit. Eine brennende Kirche. Eine Warnung. Ein Schrei. Dieses Feuer war kein einfacher Unfall, sondern ein Zeichen der Zeit. Abgesehen von der historischen Verbundenheit mit dieser Kathedrale haben wir die Warnung gehört, einen geistigen Tempel wieder aufzubauen, der von den Übeln unserer Zeit schwer beschädigt worden ist? Ein Tempel, dessen Grundstein Christus ist und dessen Schlusssteine Glaube, Hoffnung und Liebe sind, jene Tugenden, die uns zu Gott zurückbringen. Die Kirche ist ständig dazu berufen, aus ihrer Asche wiedergeboren zu werden.
Die Geschichte lehrt uns, dass Krisen oft umkehrbar sind: Zivilisationen sind sterblich, aber sie können auch wiedergeboren werden. Die geistlichen Erweckungen, welche die Geschichte der Kirche durchziehen: das Aufblühen des Mönchtums im frühen Mittelalter, die Entstehung der Bettelorden, die katholische Gegenreformation des Konzils von Trient und in jüngster Zeit das Epos der Missionskongregationen im 19. Jahrhundert ... , all diese großen geistlichen Erneuerungen waren der Ausgangspunkt für eine Wiederbelebung, eine Umwandlung der gesamten Gesellschaft. Die Krise, in der sich unsere Welt allgemein befindet und die sich in einem Verlust von Bezugspunkten, Sinn, Erinnerung und damit Kultur niederschlägt, eine Krise, die zu narzisstischem Individualismus und sozialer Fragmentierung führt, indem sie alle gemeinsamen Nenner verliert ... ; diese ganze Krise macht es wieder nötig, zu einer religiösen Infrastruktur zurückzufinden, die man begraben hatte; sie ist wie ein archimedischer Punkt, wie eine Grundlage, von der alles neu emporwachsen kann.
Der Mensch kann nicht ohne die Frage nach Gott auskommen, weil er sich nicht der Innerlichkeit, der Transzendenz berauben kann, um sich selbst zu verstehen. Alle unterdrückerischen politischen Regime der Geschichte, die die Religionen von ihrem Platz verbannt haben, sind vor ihnen untergegangen. Sie wollten die Eigenschaften Gottes auf die politische Sphäre übertragen, und das ergab das Schlimmste: den Kult des höchsten Wesens in der Französischen Revolution, den National-Sozialismus und seine Idee des blutigen Opfers, den Kommunismus, der sich religiöser Attribute bemächtigt hat (man erinnere sich an die Hohenpriester Lenin und Stalin und an den Ketzer Trotzki) und all die großen politischen Utopien. Indem sie das Jenseits leugneten, wollten sie ein „Jenseits auf Erden“ schaffen; dies hat zu einer totalitären Hölle geführt.
Seit 2000 Jahren überlebt die Kirche die Lügenpropheten, diejenigen, die das Ende des Christentums oder seinen Übergang in andere Religionen vorausgesagt haben im Namen von Ideologien, die das Christentum ausrotten wollten (National-Sozialismus, Kommunismus, Atheismus). Die Kirche hat die Stürme der Geschichte durchstanden, ihre inneren Spaltungen überlebt und trägt trotz der Untreue ihrer Mitglieder gegenüber dem Evangelium die Botschaft Christi weiterhin zu den neuen Generationen. Sie ist die Zukunft der Menschheit.
Ja, der Glaube bleibt das (kollektive) Unbewusste unserer Gesellschaft, d.h. das, was es Leuten erlaubt, auf der Grundlage sakraler Symbole und ihrer von Transzendenz durchwirkten Geschichte zusammenzuleben. Die Vertreibung oder Marginalisierung des Christentums (beschleunigt durch die mediale Diskreditierung, der es heute ausgesetzt ist) hat dazu geführt, dass die Nationen nicht nur eine spirituelle Grundlage, sondern auch ein anthropologisches und soziales Band verloren haben, das eine Jahrhunderte währende Homogenität garantierte. Die geistliche Leere erzeugt existentielles Unbehagen, sowohl persönlich als auch gesellschaftlich, wo sich die zweifelhaftesten esoterischen und synkretistischen Angebote, Gewalt und die gefährlichsten Radikalismen einnisten.
Aus unserer nachchristlichen Welt erwächst, ohne dass wir es immer zu hören wagen, ein immenses Bedürfnis nach Christentum, ein Christentum des Zeugnisses und Bekenntnisses.
Was wird der Ausgangspunkt für das geistliche Erwachen des Christentums sein? Wie lautet die heilsame Antwort auf diese Erschütterungen der heutigen Welt, die sich, indem sie sich von Gott trennt, von ihrer eigenen Menschlichkeit abschneidet?
Die Wiederbelebung erfolgt durch die Liturgie. Das ist es, was der heilige Johannes Paul II. unablässig wiederholte. „Die Feier des eucharistischen Opfers ist … das wirksamste missionarische Handeln, das die kirchliche Gemeinschaft in die Geschichte der Welt einbringen kann.“ (Audienz vom 21.6.2000) Und Papst Benedikt fügt hinzu: „Wir können nicht zum eucharistischen Mahl hinzutreten, ohne uns in die Bewegung der Sendung hineinziehen zu lassen, die vom Innersten Gottes selbst ausgehend darauf abzielt, alle Menschen zu erreichen. Darum ist ein grundlegender Bestandteil der eucharistischen Form des christlichen Lebens das missionarische Streben.“ [Sacramentum caritatis, n° 84]
In einer Welt, die von der Transzendenz abgeschnitten, des Horizontes beraubt, säkularisiert, entweiht und damit fragmentiert, individualisiert ist, weil sie ihren Schwerpunkt verloren hat, in einer Welt, die sich auf sich selbst bezieht ..., ruft die Liturgie, deren Träger die Kirche ist, nach Gott, erinnert an Gott. Sie bringt uns zu Gott, Quelle und Höhepunkt von allem, zurück. Sie aktualisiert seine lebenspendende Präsenz. Sie ist die Erziehungskunst Gottes, um uns durch die Verkündigung seines Wortes und die Feier der uns von der Kirche dargebotenen Sakramente um das österliche Geheimnis zu scharen.
Wir befinden uns zu Füßen der Kathedra des heiligen Petrus, dem symbolischen Ausdruck der vom Bischof von Rom, dem Nachfolger des ersten Apostels, ausgeübten Autorität, des Nachfolgers des ersten Apostels, die im Dienste des christlichen Glaubens steht, seiner Echtheit, der Einheit des christlichen Volkes, der Liebe der Gesamtkirche.

Berninis architektonische Geste, die die Reliquie des Thrones zwischen Himmel und Erde schweben lässt, unterstreicht, dass das Lehramt Petri und seiner Nachfolger eine Wahrheit bezeugen soll, die uns übersteigt und uns zu Gott erhebt. Diese Wahrheit hat als Gesicht Christus, den Erlöser des Menschen, der uns in seine Auffahrt in die Herrlichkeit des Vaters mitnimmt.
Die Feier des eucharistischen Opfers hier, in der Apsis dieser Basilika, zu Füßen dieser erhöhten Kathedra, drückt mehr als jedes andere Zeichen, mehr als an jedem anderen Ort, das Vorgehen und den Geist dieses Kongresses Summorum Pontificum aus.
Das ganze christliche Leben beginnt mit der Liturgie (mit der Taufe) und wird durch die Feier des österlichen Geheimnisses vollbracht, das Gottes Heil vergegenwärtigt und die Zeit der Menschen zu einem Aufstieg zum Himmel verklärt. Eine Auffahrt in der Nachfolge des Meisters zu den „himmlischen Dingen“ (Hebr. 8,5), die die Verheißung sind.
Wie die Konstitution Sacrosanctum Concilium in Erinnerung ruft, „ist jede liturgische Feier, als Werk Christi, des Priesters, und seines Leibes, der die Kirche ist, in vorzüglichem Sinn heilige Handlung, deren Wirksamkeit kein anderes Tun der Kirche an Rang und Maß erreicht.“ (N° 7)
Der Aufstieg zu Gott kann nicht ohne Gott auskommen, um das Ziel zu erreichen. Und die von Christus auf dem Zeugnis Petri gegründete Kirche („Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“ – Mt 16,18), stellt die Mittel für diesen Aufstieg der Menschheit zu Gott bereit und legt ihre Bedingungen fest.
Das Zeugnis dieses Kongresses Summorum Pontificum soll in erster Linie die Zentralität, die Wesentlichkeit der heiligen Liturgie bei der Erlösung unserer Welt und im Dienst der sakramentalen und dienenden Gemeinschaft der Kirche darlegen (Papst Franziskus spricht von der Liturgie als „der Epiphanie der kirchlichen Gemeinschaft“).
Aber unsere Versammlung in dieser Basilika, die auf dem Zeugnis des Martyriums von St. Petrus ruht, ruft uns auch dazu auf, uns den Geist der Liturgie in ihrer lebendigen Tradition wieder anzueignen. Das ist der ganze Sinn der von Papst Benedikt XVI. beschworenen „Hermeneutik der Kontinuität“.
Wie Johannes Paul II. und Benedikt XVI. es zu ihrer Zeit oft angeprangert haben, wurde die konziliare Reform manchmal in willkürlicher und ideologischer Weise von Initiativen aller Art begleitet, von Verzerrungen und Missbräuchen bis hin zur Selbstfeier der Gemeinschaft, die Zwietracht, Wunden, Brüche innerhalb der christlichen Gemeinschaften, ja sogar Spaltungen verursacht haben.
Die Tradition ist kein Museum, sondern ein Fluss, er seine Quelle im Geheimnis Christi hat und durch seine Lehre, den Kultus und das Leben der Kirche die Jahrhunderte hindurch die aufeinanderfolgenden Generationen bewässert.
Es geht darum, die Katholiken mit ihrem jahrhundertealten Erbe zu versöhnen, in unseren Wurzeln, die hier dem apostolischen Zeugnis Petri begegnen, den Saft, der unseren Glauben heute nähren wird, wiederzufinden Das ist die Herausforderung der Hermeneutik der Kontinuität. Die Liturgie, die Seele eines jeden Apostolates, ist wie ein Kanal, der die Jahrhunderte durchquert, um das Heute Gottes in der Treue, Kontinuität, Unversehrtheit der Riten, Zeichen, Symbole, der Worte, wo der Inhalt in der Form zur Sprache kommt, auszusagen.
Die Kirche ist durch einen disruptiven Ansatz der konziliaren Erneuerung verwundet worden. Die gegenseitige Bereicherung der zwei Formen des römischen Ritus ist insbesondere Teil dieses Willens, die sakrifizielle und hierarchische Dimension der Liturgie mit ihrer sozialen, gemeinschaftlichen und dienenden Dimension zu verbinden.
Nur um den Preis dieser Versöhnung mit ihrer eigenen Geschichte und ihrer dogmatischen Entwicklung kann die Liturgie der Kirche diese doppelte Aufgabe übernehmen: der Höhepunkt zu sein, wohin das Tun der Kirche strebt, und gleichzeitig die Quelle, woraus all ihre Tugend hervorgeht.
Daraus ergibt sich die Dringlichkeit einer liturgischen und mystagogischen Bildung, die die Wiederentdeckung des Sinnes und der Würde der Liturgie, der ars celebrandi, begleitet, die auch der Feier der außerordentlichen Form gebührenden Raum gibt, damit sie wieder zur Quelle und zum Höhepunkt des Lebens der Kirche wird, damit die Gläubigen zu diesem lebendigen Wasserstrom kommen und aus ihm trinken können und sich von der „nüchternen Trunkenheit des Heiligen Geistes“ berauschen lassen.

Quelle: La Lettre de Paix liturgique, lettre 719 du 5 Novembre 2019 - Übersetzt mit www.deepl.com/Translator (bearbeitet); Bild: Monika Rheinschmitt